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Mittelkinder: Brauchen Sandwichkinder mehr Aufmerksamkeit?

Weder Fisch noch Vogel: Während das älteste Kind die meisten Freiheiten geniesst, kann sich das Jüngste als Nesthäckchen positionieren. Doch wie sieht es mit den mittleren Kindern aus?  Viele Eltern befürchten, dass ihr Mittelkind aufgrund der Konstellation benachteiligt wird und unter seiner Rolle leidet. Der Schweizer Psychologe und Autor Prof. Jürg Frick beruhigt: Ob die Sandwich-Position ein Kind stärkt oder schwächt, hängt von verschiedenen Faktoren ab – und vor allem vom Verhalten der Eltern. 

Drei Geschwister streiten sich um die Fernbedienung.
Wie gut können sich Sandwichkinder wirklich durchsetzen? © Getty Images / skynesher

Das Wichtigste in Kürze

Erstgeborene geniessen zu Beginn ihres Lebens exklusiv die Fürsorge der Eltern. Letztgeborene haben ihre Eltern zum Ende der Kindheit für eine gewisse Zeit für sich alleine. Sandwichkinder – die mittleren Kinder – müssen die Aufmerksamkeit der Eltern meistens teilen – entweder mit dem älteren oder mit dem jüngeren Geschwisterkind. Um die Rolle des mittleren Kindes ranken sich darum viele Vorurteile, Ängste und auch Mythen. Was ist dran? Entwickeln Mittelkinder tatsächlich besondere Eigenschaften und Verhaltensweisen?

Die einen fürchten, dass:

  • Sandwichkinder ein geringeres Selbstwertgefühl entwickeln, weil sie in der Regel weniger exklusive Zeit mit ihren Eltern verbringen.
  • Es ihnen schwerfällt, ihre Rolle zu finden, und sie zu Mitläufern werden, da sie weder Verantwortung wie das älteste Kind tragen, noch über die Stränge schlagen dürfen wie das jüngste Kind.
  • Sie Schwierigkeiten haben, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und wahrgenommen zu werden, weil sie die grosse Bühne nicht gewohnt sind.

Die anderen hoffen, dass:

  • Sandwichkinder sich gut entfalten, gerade weil sie oft weniger ungeteilte Aufmerksamkeit von den Eltern bekommen und daher mehr Freiraum haben.
  • Sie sich in verschiedenen Rollen ausprobieren können – sie können dem jüngeren Kind gegenüber Vorbild sein, Dominanzfähigkeiten entwickeln und mit ihm Spass beim Spielen haben und das ältere Kind bewundern und von ihm lernen.

Sind mittlere Kinder tatsächlich anders?

Auch die Wissenschaft interessiert sich für die Frage, wie sich die Geschwisterposition auf Sandwichkinder auswirkt. Werden mittlere Kinder tatsächlich benachteiligt – oder haben sie eine besonders gute Position? Wissenschaftliche Untersuchungen wie eine Studie der Universitäten Leipzig und Mainz und eine Studie der University of Houston sind zum Schluss gekommen, dass die Geschwisterposition die Persönlichkeit nicht entscheidend prägt.  «Doch ganz so einfach ist es nicht», weiss Prof. Jürg Frick, Schweizer Psychologe, Berater und Autor verschiedener Publikationen zum Thema Geschwisterbeziehungen.

Geschwisterposition kann starke Auswirkungen haben

«Die Geschwisterposition kann sehr starke Auswirkungen auf die Persönlichkeit haben», sagt Jürg Frick. Dieser Einfluss falle unterschiedlich aus. «Es gibt viele mittlere Kinder, die ihre Geschwisterposition als nachteilig empfinden. Sie fühlen sich von oben und von unten gedrückt – wie der Brotbelag in einem Sandwich. Andere dagegen freuen sich über ihre Geschwisterposition – schliesslich ist die Mitte des Sandwichs das Beste!»

Was die Rolle des Mittelkindes beeinflusst

Ob die Sandwich-Position ein Kind stärkt oder schwächt, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  • Verhalten der Eltern
  • Beziehung zu den Geschwistern
  • Rollen, die die einzelnen Geschwister in der Familie innehaben
  • Altersabstand der Geschwister

Fünf Tipps, um Sandwichkinder zu fördern und zu unterstützen

 Geschwister nicht vergleichen

Geschwister vergleichen sich stets miteinander. «Für Eltern ist deshalb wichtig, ihre Kinder nicht zusätzlich auf Schwächen und Rollen festzulegen», sagt Jürg Frick. Sätze wie «Dein Bruder ist immer so vernünftig, sei das doch auch mal», werte das angesprochene Kind ab. «Jedes Kind ist anders – und vermeintliche Schwächen lassen sich oft aus einem anderen Blickwinkel  positiv betrachten.» Vielleicht ist das Kind, das bislang als langsam galt, besonders sorgfältig?

 Eigene Kindheit reflektieren

«Viele Eltern übertragen unbewusst die Erfahrungen, die sie mit ihren Geschwistern gemacht haben, auf ihre Kinder», weiss Jürg Frick. «Vielleicht gab es in der Kindheit einen belastenden Dauerkonflikt mit der Schwester. Sobald sich nun das eigene Kind ähnlich verhält wie früher die Schwester, entstehen negative Gefühle dem eigenen Kind gegenüber. Überreaktionen sind die Folge. «Das geschieht häufig, ohne dass Eltern das Schema erkennen», so der Psychologe. «Wir wissen aus vielen Studien, dass Eltern unbewusst ihren Kindern gegenüber nicht so neutral sind, wie sie möchten. Deshalb ist ein Austausch mit anderen Eltern wichtig und oft auch erhellend.»

 Kinder nicht bevorzugen

Eltern sollten bewusst versuchen, kein Kind dauerhaft zu bevorzugen. Streiten sich die Kinder, ist es wichtig, keine Partei zu ergreifen. Egal, wer begonnen hat. Eltern können den Konflikt  moderieren, um eine Lösung zu finden.

 Jedem Kind geben, was es braucht

Gerechtigkeit bedeutet, jedem Kind zu geben, was es braucht. Es geht also nicht darum, jedes Kind genau gleich zu behandeln. Entscheidend sind die individuellen Gefühle und Bedürfnisse der Kinder. «Viele Kinder beklagen sich darüber, dass sie zu kurz kommen», berichtet Jürg Frick. «Auch wenn es von aussen betrachtet anders erscheint, fühlt das Kind, was es fühlt: Frustration, Ängste, Trauer und Hilfslosigkeit zum Beispiel.» Diese Gefühle lassen sich nicht einfach wegreden. Entscheidend ist, darauf einzugehen. Dann gilt es, einfühlsam zuzuhören, um zu verstehen, was das Kind braucht.

 Dem Sandwichkind Zeit schenken

Die Eltern mal für sich ganz allein zu haben, kann ein wunderschönes Erlebnis sein. Kinder brauchen das. Doch auch hier gilt: Bedürfnisse sind unterschiedlich. Nicht jedes Sandwichkind leidet darunter, während der Kindheit womöglich weniger exklusive Zeit mit den Eltern zu verbringen als ihre Geschwister. Jürg Frick: «Es gibt Sandwichkinder, die mit ihrer Position zufrieden sind, wie sie ist.»

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