Kind > Erziehung

Sind Konsequenzen besser als Strafen? Wie Erziehung ohne Bestrafung wirklich funktioniert

Viele Eltern versuchen in der Erziehung bewusst, auf Strafen zu verzichten. Vermeintlich. Denn oft drohen sie dann mit Konsequenzen, wenn das Kind nicht gehorcht... und diese Konsequenzen sind nichts anders als eine Bestrafung. Familienberaterin Maya Risch zeigt in ihrem Beitrag auf, wie man das Kind natürliche Konsequenzen erleben lässt und erfolgreich persönliche Grenzen zieht. Für eine Erziehung, die wirklich ohne Strafen auskommt. 

Mädchen in violettem Pulli und pinker Hose sitzt vor aufgestellten Dominosteinen
Keine Aktion ohne Komsequenzen: Kinder lernen mehr durch natürliche Konsequenzen als durch angedrohte Strafen. © Getty Images, Innershadows

Jetzt ist aber genug! Das hat Konsequenzen!» Kommt dir der Satz bekannt vor? Die meisten Eltern wollen heute ihre Kinder zu selbständig denkenden Menschen erziehen. Ein Grund, warum viele Eltern auch keine Strafen mehr einsetzen wollen. Reagiert das Kind dann allerdings nicht auf Anweisungen oder Grenzen, die die Eltern ziehen, wissen viele nicht mehr weiter.

Dann beginnen die meisten mit Konsequenzen zu drohen: Keine Bildschirmzeit, kein Dessert, keine Besuch bei den Freunden. Doch inwiefern unterscheiden sich diese angedrohten Konsequenzen denn von den herkömmlichen Strafen? Ist es nicht genau dasselbe – einfach mit neuem Namen, weil Strafen halt nicht mehr salonfähig sind?

Keine Aktion ohne Konsequenzen

Bei den oben aufgeführten Beispielen ist genau dies der Fall. Das Ziel ist, dem Kind «Schmerzen» zuzufügen, damit es lernt, sich beim nächsten Mal richtig zu benehmen. Warum ich dies nicht mehr zeitgemäss und sinnvoll finde und wie man solche Konflikte löst, erkläre ich übrigens in diesem Artikel.

Natürliche Konsequenzen werten das Kind nicht ab. Es lernt durch die Folgen, was richtig ist.

Aber wie sollen Kinder denn lernen, was richtig ist und was nicht – so ganz ohne Konsequenzen? Die Annahmen ist ein Trugschluss. Denn eine Aktion ohne Konsequenzen gibt es nicht: Es gibt immer Konsequenzen, die das Kind erfährt. Konsequenzen, die aber keine Strafen sind. Das sind auf der einen Seite die natürlichen Konsequenzen. Damit meine ich Folgen, die von selbst eintreten. Und andererseits gibt es Konsequenzen, die aus persönlichen Grenzen des Gegenübers entstehen.

Zwei Beispiele solcher natürlicher Konsequenzen:

  1. Unser Sohn, damals vier Jahre alt, wollte keine Handschuhe anziehen, um im Schnee zu spielen. Er ging ohne Handschuhe nach draussen. Die natürliche Konsequenz war: Er bekam bald sehr kalte Hände, weinte und musste aufhören im Schnee zu spielen.
  2. Eine sehr ähnliche Konsequenz erlebte er, als er sich an einem kalten Regentag weigerte, seine Regenjacke anzuziehen. Er kam durchnässt und frierend nach Hause.

Ein Kind, das beim Rennen umfällt, hat bereits die natürliche Konsequenz erlebt und braucht jetzt Trost und ein Pflaster, keine Schuldzuweisung oder Belehrung.

Kaum ein Kind hört auf die Warnung: «Renn nicht so schnell, du fällst sonst um und tust dir weh.» Fällt es dann tatsächlich hin und schlägt sich das Knie auf, sollten wir uns verkneifen, es zu belehren mit Aussagen wie: «Ich hab dir doch gesagt, dass …» oder «Selber schuld, hättest du auf mich gehört….». Das Kind hat bereits die natürliche Konsequenz erlebt und braucht jetzt Trost und ein Pflaster, keine Schuldzuweisung. Jesper Juul verweist darauf, dass der Boden ein guter Lehrmeister ist: Das Kind erlebt direkte Konsequenzen, ohne beschuldigt oder abgewertet zu werden.

Kinder sollen eigene Erfahrungen machen

Wenn wir Kinder die Folgen ihres Handelns erleben lassen, also natürliche Konsequenzen zulassen, machen Kinder Erfahrungen. Diese können wir später gemeinsam besprechen. So lernt das Kind etwas über die Welt und auch über sich selber. So hat zum Beispiel unser Sohn angefangen, freiwillig Handschuhe mitzunehmen, nachdem er festgestellt hat, dass die Hände im Schnee zu kalt werden, um Spass zu haben und zu spielen. 

Was aber geschieht, wenn ein Verhalten keine natürlichen Konsequenzen hat oder solche, die zu gefährlich sind, um sie das Kind erleben zulassen? Wie zum Beispiel im Strassenverkehr: Das Kind will dem Vater beim Überqueren der Strasse nicht die Hand geben und loslaufen, obwohl die Ampel auf rot steht. In dieser Situation muss der Vater als Erwachsener das Kind schützen, notfalls auch, indem er das Kind physisch stoppt oder kurz festhält.

Nicht in jeder Situation, in der das Kind nicht auf das hört, was wir ihm sagen, entsteht eine natürliche Konsequenz. Trotzdem kann das Kind in diesen Situationen Konsequenzen erleben, die keine Strafen sind. Diese entstehen, wenn das Gegenüber eine persönliche Grenze zieht.

Kinder erleben, dass ihr Verhalten Einfluss auf das Wohlergehen anderer hat.

Die Kinder erleben so, dass sie mit ihrem Verhalten einen Einfluss auf die Mutter haben. Sie reagiert auf ihr Verhalten, fragt nach, meldet zurück, wie es ihr damit geht und zieht dann ihre persönliche Grenze: Sie übernimmt Verantwortung für ihre Gefühle und sorgt dafür, dass es ihr wieder gut geht. Das Kind erlebt als Folge dieser persönlichen Grenze, dass die Geschichte gerade nicht weitergeht, allerdings ohne Drohung, Beschuldigung oder Beschämung.

Grenzen ziehen: Anstrengend – aber lohnenswert

Der Unterschied zwischen einer als Konsequenz getarnten Strafe und einer Konsequenz als Resultat einer persönlichen Grenze ist fein. Er ist aber für das Kind spürbar und entscheidend für die Beziehungsqualität zwischen den Eltern und den Kindern. Es ist vor allem eine Frage unserer elterlichen Haltung und Sprache. Und auch eine Frage unserer Energie: Wenn wir müde und ausgelaugt sind, greifen wir viel häufiger zur Strafandrohung, anstatt eine persönliche Grenze zu ziehen. Dies, da Letzteres viel schwieriger und vielleicht auch ungewohnt ist. Aber jede Situation, in der wir es schaffen, den anstrengenderen Weg zu gehen, ist ein Gewinn für das Kind. Unsere Beziehung zu ihm kann sich so optimal und gesund weiterentwickeln. 

 

Maya Risch

Die Familienberaterin, Familylab Seminarleiterin und Waldkindergärtnerin Maya Risch lebt mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann in Zürich-Oerlikon. In einer individuellen Eltern- bzw. Familienberatung oder in Workshops, Refeaten und Kursen bietet sie Eltern die Möglichkeit, zu erfahren, wie sie mit Unsicherheiten, Wut und Konflikten umgehen können und zeigt neue Perspektiven im Umgang mit Stolpersteinen im Familienalltag auf. 

Maya Risch bietet laufend Kurse an für Eltern. Am 12. September startet der nächste Online-Kurs zum Thema «Tut Wut gut?». Es hat noch freie Plätze. Alle Infos dazu gibt es auf der Website von Maya Risch (Link im Autorenprofil unten).

Weitere Artikel von Maya Risch.

Neueste Artikel

Beliebte Artikel